Sprechen kann‘s auch, das Sehungeheuer. Hier also der aktuelle Blogbeitrag zum hören, 10 Minuten Sehungeheuren Podcast.
Alles, was gleichzeitig klein und lebendig ist, verursacht mir tendenziell Unbehagen. Das beginnt mit den zahllosen Bakterien, die in meinem Körper eine meist unschädliche Koexistenz mit mir führen, und endet an meiner Zimmerdecke, in welcher sich meine Hausspinnen um die Mücken und anderen Mikroinsekten kümmern. Drücken wir es einmal so aus: Ich versuche ihre Existenz weitgehend zu verdrängen, denn sonst treibt meine Phantasie derartige Blüten, dass ich in jeder Unebenheit einer glatten Oberfläche ein Getier vermute, jeden Fussel am Boden für eine Kakerlake halte, in jeder Berührung meines Gesichts abends eine fliegende Motte (oh nein, bitte keine Mehlmotte!) interpretiere… Auf diese Weise kann frau auch wahnsinnig werden. Auch vor dem eigenen Körper machen die Krabbeltierchen ja nicht Halt, so verrenke ich mich drei- bis viermal im Jahr, um Fotos von irgendwelchen Körperteilen zu machen, um jemand anderen identifizieren zu lassen, ob ich einen Zeckenbiß habe.
Mein Mittel der Wahl ist, wie die aufmerksame Leserin und der aufmerksame Leser dieses Blogs inzwischen weiß, immer die Mimikry. So ahme ich das Verhalten der sehenden Menschen nach, um mich vor zu gewaltigem Insektenbefall zu schützen. Das bedeutet putzen, aufräumen, den eigenen Besitz immer mal wieder kontrollieren. Es bedeutet aber vor allem mir dieser Schwäche bewusst zu sein und Sehende um Hilfe zu bitten, damit ich nicht einst morgens in einen Ameisenhaufen trete, ein Wespennest sich in meinem Vogelhaus breitgemacht hat oder die Maden auf meinem Thunfisch Polka tanzen. Jetzt, während dieser Pandemie beispielsweise, war über zwei Monate niemand mehr in meiner Wohnung, und meine Sorge vor Unreinheit und daraus resultierender Ungezieferinvasion wächst von Tag zu Tag. Ich habe Freunde schon oft gebeten, mich dabei zuschauen zu lassen, wie sie eine Wohnung reinigen, damit ich es nachahmen kann. Aber diese Bitte stößt auf Unverständnis oder zumindest auf Irritation. Ich brauche Worte dafür, dass das Waschbecken nicht nur ein Becken ist, sondern dass hinter dem Wasserhahn noch Umrandung übrig ist, die genauso geputzt werden will. Ich brauche Worte dafür, wie und wo ich die Toilettenschüssel so schrubbe, damit sie sauber ist und nicht irgendwo am Rand noch Reste hängen, die meine Besucher abstoßen könnten, nur weil ich sie nicht sehe. So lacht mich mein Freundeskreis auf liebevolle Art schon aus, wenn mich jemand besuchen kommt, die Toilette aufsuchen möchte und ich sofort ausrufe, dass ich erst mal die Örtlichkeiten kontrollieren muss. Wobei ich hier sauber zwei unterschiedliche Themen trennen sollte: das eine ist die Angst vor Ungeziefer, das andere die Angst, als schmuddelig bei meinen Mitmenschen zu gelten. Wenn ich daran denke, wie sehr ich mich dafür geschämt habe, als mir meine erste Reinigungsfee sagte, sie hätte bei ihrem ersten Besuch das komplette Geschirr kontrollieren müssen, weil es im Schrank stand und nicht sauber war… Paranoia kann sich auch hier sehr schnell einstellen: besucht mich niemand, weil die Menschen es bei mir unsauber finden?
Aber kehren wir zurück zum Viechzeug. Jedes Mal, wenn ich draußen ein Insekt höre, versuche ich zu verstehen, was sich in meinem Gehirn abspielt. Ist es die Präsenz eines anderen Lebewesens, das ich nicht sehe, was mir Angst bereitet, ist es der in meinen Ohren aggressive Ton des Insektes, verkörpert es die potentielle Gefahr, mich von mir unbemerkt zu stechen oder zu beißen? Allein in meinen vier Wänden mit einem solchen Brummwesen zu sein, ist eine ganz andere Sache. Ich muss meine Panik kognitiv beherrschen, verlasse das Zimmer, in dem es sich befindet, reiße vorher Tür oder Fenster auf, sperre es ein und verbringe die kommende halbe Stunde ausschließlich mit der Hoffnung, dass sich das Tier dorthin verzieht, wo es hergekommen ist. Inzwischen bin ich nicht mehr gelähmt vor Angst und kann immerhin noch die Fenster oder die Balkontür öffnen, wenn ich etwas summen höre und das Tier dann geschwind in dieses eine Zimmer verbannen. Aber die Wartezeit, bis es sich verdrückt hat, ist nicht besonders produktiv nutzbar. Ich kann aufräumen oder was auch immer tun, wofür das eine oder andere Zimmer angelegt ist, aber wirklich konzentriert dabei bin ich nicht. Die Panik vor dem Tier hält mich fest in den Klauen und bindet damit eine Menge Energie. Immer wieder, vor allem wenn die Sehenden wohlmeinende aber gänzlich am Thema vorbeigehende Kommentare wie „Das hat mehr Angst vor Dir“, „Das tut Dir nix“ oder „Das Schlimmste ist ein Stich, was ist daran so entsetzlich?“ von sich geben, versuche ich diese tiefsitzende Panik zu analysieren, aber es gelingt mir nur unzureichend. Ich habe durchaus den Ton des Wesens in Verdacht, denn vor Mücken fürchte ich mich nicht, ich hasse sie nur. Denn ich bin für sie ein besonderer Leckerbissen und werde, so sie meiner habhaft werden, regelrecht ausgesaugt. Alles andere Getier summt tiefer, leider lassen sich Fliegen, Bienen, Wespen oder Hummeln für mich allein von ihrer „Stimme“ her nicht unterscheiden. Und da ich sie so gut wie nie sehe, manchmal ein schwarzer Punkt, der an mir vorbei oder um mich herum saust, sind sie für mich ein rein akustisches Wesen, vor dem ich mich nicht schützen kann. Ich kann ja keinen Bannkreis um mich ziehen, damit sie mir nicht zu nahe kommen. Selbst sie sind mir in dieser Wesensart überlegen. So wie Spinnen, Ameisen, Käfer… alles, was klein ist und krabbeln oder fliegen kann. Dass sie keine Absicht mir gegenüber verspüren, ist für meine Angst völlig irrelevant. Ihre Schnelligkeit und Präsenz, die gleichzeitig für mich unsehbar und unüberhörbar sind, reichen aus, um mich vor ihnen zu fürchten, zu gruseln oder zu ekeln.
Ich erinnere mich an ein Erlebnis vor 25 Jahren, als ich, damals eine Studentin, in meiner ersten Wohnung abends allein vor der Glotze saß. Der Sommer war heiß und ich trug nur ein Untergehös. Während ich dort auf meinem blauen Teppich saß und der Fernsehsendung am Bildschirm folgte, spürte ich, wie mir ein Insekt den Rücken emporkroch. In der einen Sekunde war ich noch stocksteif vor Angst und in der nächsten hatte ich schon meinen Arm nach hinten geschleudert und das Insekt erlegt. Wie heute erinnere ich mich an den Triumpf, mich selbst sofort des Problems entledigt und einem riesigen schwarzen Käfer den Garaus gemacht zu haben, ohne vorher von Panik und Ohnmacht über meine Unfähigkeit überwältigt worden zu sein.
Wie selten solche Erlebnisse sind, mag allein die Lebhaftigkeit meiner Erinnerung daran verdeutlichen. Denn in den allermeisten Fällen solcher direkten Konfrontationen mit Insekten bin ich nicht in der Lage, diese selbst aufzulösen. In meiner alten Wohnung wohnten mind. 3 Ansprechpartnerinnen und -partner in meiner unmittelbaren Umgebung, auf die ich ohne großes Gewese zugreifen konnte. Gegenwärtig verhält es sich noch nicht ganz so komfortabel. Aber sollte sich eine Hornisse, vor denen ich am allermeisten Angst habe, weil sie so riesig und in meiner Vorstellung so gefährlich sind, in meine Wohnung verirren, werde ich allen Stolz und alle Scham niederringen müssen und bei einem meiner Nachbarn klingeln und um Entfernung des unliebsamen Besuchs bitten. Natürlich freue auch ich mich, wenn diesen Lebewesen, die mir den Alltag verderben, dennoch kein Leid angetan wird und sie mit Glas oder Papier oder was auch immer nachdrücklich zum Verlassen meiner vier Wände genötigt werden, natürlich würde ich an helfende Menschen auch gern die Bitte knüpfen, dem Tier ein Weiterleben zu ermöglichen. Aber hier sind die Grenzen dessen, was erwartbar und wünschenswert ist, erreicht, und ich bin einfach nur froh, wenn jemand die für mich unhaltbare Bedrohung auflöst.
Wenn ich versuche, mich rein analytisch mit dem Problem „Insekten“ zu beschäftigen, wenn also gerade kein akuter Handlungsbedarf besteht, von einer Belästigung befreit zu werden, dann formuliere ich in meinem Kopf dieselben Affirmationen, die mir sehende Menschen mitgeben: Hab keine Angst vor den Tieren, versuche zu verstehen, dass die mehr Angst vor Dir haben, wenn sie Dich stechen, stirbst Du nicht daran. In solchen Phasen wünsche ich mir mehr als ihre Abwesenheit einen entspannten Umgang mit ihnen, überlege hin und her, wie ich meiner Angst vor ihnen beikommen kann, sinne nach Bekämpfungsstrategien, die wirksam und dennoch für die Insekten nicht tödlich sind. Aber weder der Staubsauger noch das Insektenspray und schon gar nicht die Fliegenklatsche kommen für mich in Frage, treffe ich doch nichts und niemanden präzise und mache die Wesen gegebenenfalls noch aggressiver, so dass sie auf mich losgehen. Eine Lösung will und will mir aber auch im nicht bedrohten Zustand nicht einfallen, und all diese Überlegungen sind mit einem Summen um mich herum ad acta gelegt, und ich muss meine gesamte Selbstdisziplin aufwenden, um meine Panik im Zaum zu halten.
Diese alltäglichen Kleinigkeiten binden Zeit, aber vor allem binden sie kostbare Energie, erschöpfen emotional sehr und sind in letzter Konsequenz auch der psychischen Gesundheit nicht förderlich. Denn wie viele Gedanken schließen sich daran an, sich einen Menschen vorzustellen, der bei dem kleinsten Geräusch durch ein Insekt verursacht in kopflose Panik ausbricht? Natürlich eine gewisse Scham und Ablehnung vor sich selbst, sich so ausgeliefert zu fühlen, Verzweiflung darüber, dass es keine Patentlösung für das Problem „Insekt in der Wohnung“ gibt, und natürlich das Hadern mit dem Schicksal, sich überhaupt von derlei Kleinst Kleinigkeiten des Alltags überwältigen lassen zu müssen. Ist dies der Preis für die hart erkämpfte Autonomie? Die sebst gewählte Form des Alleinwohnens, die mir gut gefällt, zugegeben im Winter besser als im Sommer. Muss ich sie aufgeben, um zum Beispiel auch mit dem Problem Insekten nicht mehr allein allein konfrontiert zu sein? Denn sind wir doch mal ehrlich, das ist nur eines der Alltagsprobleme, die mich heimsuchen. Zerbrochenes Geschirr ist ein anderes, verdorbene Lebensmittel ein weiteres, über ungeputzte Gegenstände sprach ich bereits.
Ich habe erst jüngst begonnen, meine zeitweise Erschöpfung zu analysieren, denn ich betrachte mich nicht als energiearmen Menschen. Dennoch bin ich bspw. nach dem Ausräumen der Spülmaschine meist so erschöpft, dass der letzte Topf mit Deckel nicht mehr in den Schrank wandert sondern auf sein Verstauen einige Zeit warten muss. Aber warum? Na, weil ich mich konzentriere, damit mir nichts runterfällt, ich mir nicht den Kopf am offenen Küchenschrank stoße, kein Wasser verschütte, das ich dann nur unzureichend aufwische… Egal, das ist ein anderer Blogbeitrag. An dieser Stelle sei nur gesagt, dass ich die Energie, die ich aufwende, um mich mit Insekten und meiner Angst vor ihnen zu befassen, soviel nützlicher und befriedigender in meinen Tag einbringen könnte. Blädes Viechzeug!
hey hübsche, hast du es mal mit einer elektrischen fliegenklatsche probiert, großartig, weil man damit herumfuchteln kann und das vieh nicht an die wand klatschen muss. du triffst grad einen sehr schönen ton! umärmlung, ina
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