Keine Sorge, dieser Blogbeitrag wird nicht davon handeln, dass ich nichts mit Bildern anfangen kann. Auch werde ich mich nicht auf die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten von Vernetzung und Empowerment behinderter Menschen durch das WWW fokussieren, obwohl diese sicher auch ein bis zwei Gedanken und Worte wert wäre.

In einem meiner letzten Blogbeiträge habe ich erläutert, dass es einen graduellen Unterschied zwischen Diskriminierung gegenüber Behinderten zu anderen diskriminierten Gruppen gibt. Denn Behinderte fordern aufgrund ihrer Versehrtheit Verständnis und Hilfe ein. Aber dürfen sie diese ebenso erwarten und einfordern wie People of Color, LGBTIQ, alter Menschen etc. die Akzeptanz ihrer Existenz erhalten müssen? Wie ich schon einmal schrieb, etwas stimmt hier nicht. Auf der Handlungsebene gibt es unüberhörbare Analogien: im Bus wird eine blinde Frau ebenso übergriffig angesprochen wie die PoC, die neben dem weißen Cis-Mann sitzt. Aber das ist die Ebene des Andrers-Seins, und hier sollte das Konzept der Antidiskriminierung meiner Ansicht nach ansetzen. Anders ist, wer anders gemacht, gedacht, angesprochen wird. Bei allen anderen diskriminierten Gruppen ist also „nur“ ein Umdenken vonnöten. Dieses „nur“ soll beileibe hier nicht bagatellisieren. Aufgrund dieses „nur“ mussten erst diese Woche 9 Menschen in zwei Shishabars in Hanau sterben. Dieses „nur“ soll diese Tat nicht trivialisieren, ich verurteile sie hier auf das schärfste.

Aber zurück zur Ebene, auf der das Umdenken nicht ausreicht, um die Diskriminierung Behinderter zu reduzieren. Dazukommen muss eine gewisse Fähigkeit, das eigene Handeln auf die Bedürfnisse des behinderten Menschen abzustimmen. Warum steht ein Mensch im Bus einfach vor der Tür und bildet mit seinem Körper ein Hindernis für jemanden, der dann nicht weiß, wie er aussteigen soll. Selbst der Rollstuhlfahrer, der unübersehbar in der Mitte im Bus steht, muss warten, dass Menschen ihm Platz machen, kann sich nicht ohne ihre Unterstützung entscheiden, dass er jetzt sofort aussteigen möchte. Natürlich ist es unrealistisch und letztlich auch nicht von mir gewünscht, dass alle Parameter aller Behinderter immer im Blick behalten werden, kein Mensch wäre mehr frei sich zu bewegen, denn die Bedürfnisse unterschiedlicher Behinderungen sind ja so vielfältig wie die Welt. Ich wollte auch eigentlich auf einen anderen Aspekt hinaus, der in den letzten Wochen verstärkt in meinem Kopf herumspukt.

In den sozialen Medien häufen sich die Blogs und Podcasts blinder Menschen mit der Überschrift „Lieschens (nennen wir sie mal so) Welt“, in denen ebensolche Alltagsituationen wie die Busszene von eben sehr detailliert beschrieben werden. Wie kocht, reist, wandert, sportelt ein bilnder Mensch, wie erziehen blinde Eltern ihr sehendes Kind etc. Ihnen gemein ist, dass sie mit ihren Beitrögen zeigen, was sie leisten können, welche kreativen Strategien sie ersonnen haben, sich die Welt zu eigen zu machen, die nicht an ihre Bedürfnisse angepasst ist. Allesamt sind es lesens- und hörenswerte Beiträge, die den Alltag dieser Menschen für andere nachvollziehbar machen. Wie weit allerdings solche Beiträge in die nicht-versehrte Community der social Media hineinreichen, kann ich nicht beurteilen. Ich kann aber mutmaßen, indem ich von breit wahrgenommenen Themen auf diese schließe. Und dabei ist mir etwas aufgefallen, das ich vorher nur sehr schemenhaft wahrgenommen habe: Textbeiträge ohne Foto oder Video erhalten nicht die gleiche Resonanz wie eine „digital story“, die auch optisch kreativ designt wird.

Erst über diesen Umweg gelange ich zu einem Gedanken, der wahrscheinlich vielfach gedacht und besprochen wurde, der mich aber dennoch nicht wenig erschreckt. Denn er impliziert die Frage nach der visuellen Darstellbarkeit von Behinderung. Wer wenig oder nicht sieht, interessiert sich nicht für sie. Aber wer, wie die meisten anderen Menschen, immer mehr über Bilder kommuniziert, die ihn direkt ansprechen, ohne dass er lesen oder verstehen muss, für den besteht die Umwelt aus ästhetisch wertvollen Bildern. Verschwindet also Hässlichkeit aus der öffentlichen Wahrnehmung? Wird sie zum Kontrast für Schönheit verwendet? Wie oft sehe ich Dokumentationen über diskriminierte Menschen, die meisten Hauptdarsteller_innen darin sind ziemlich ansehnlich, soweit mir hier überhaupt eine Beurteilung zugestanden wird. Wie selten sehe ich behinderte Menschen in den Medien, und wenn, dann sind sie ebenso schön wie die Nicht-Versehrten. Aber von diesen gibts nicht so wahnsinnig viele, denn schief stehende Augen, merkwürdig anmutende Kopfhaltungen, andere Bewegungen sind für die meisten nicht schön. Welche Frage stellen sich die Macher_innen von Dokumentationen bei der Auswahl ihrer Protagonist_innen? Suchen sie nach Telegenität, ohne das noch zu merken? Oder wollen sie das Image Behinderter mit dem schönen blinden Mädchen stärken, dass Behinderung nicht gleichzeitig hässlich sein muss?

In meinem letzten Schuljahr war ich in den ersten beiden Wochen nach Ferienende nicht im Unterricht, so dass eine neue Klassenkameradin meine Freundin Dagmar fragte, wer denn die abwesende Mitschülerin sei. Dagmar fasste zusammen, was ich hier zusammenfassen möchte: „Ach, die ist behindert, und die sieht auch so aus.“ Und ja, Dagmar war wirklich eigentlich eine Freundin von mir.

Wie können die Bedürfnisse, Wünsche, Diskriminierungserfahrungen einer auch noch sehr breiten und unterschiedlichen Gruppe wie der Behinderten in die Öffentlichkeit getragen werden, wenn doch gerade eines der Hauptkriterien, ihre optisch ansprechende Erscheinung, nicht gegeben ist? Welche Macht hat der Sehsinn über die Gefühle der Menschen Behinderten gegenüber, derer sie sich gar nicht bewusst sind?

Erinnert irgendwie an die Sexualisierung schwarzer Frauen, oder? Wenn auch in die andere Richtung, aber mit ebenso verhehrenden Folgen für diese. Ha, eine neue Analogie, irgendwie muss ich weiter darüber nachdenken.

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