Ich freue mich immer wieder, wenn ich in den Medien auf das Thema Antidiskriminierung stoße. Denn inzwischen gibt es ein Wort für die mentale Fremd-Verstümmelung, der wir ehedem als Randgruppen Bezeichnete ausgesetzt sind. Ich mag sie alle, die People of Color, die Schwulen und Transen, diejenigen, die meine Muttersrprache nicht so gut beherrschen wie die, deren Gender ich nicht erkennen kann, fühle mich wohl unter ihnen. Bei denen, die ihre Religion durch Attribute ihrer Kleidung sichtbar machen, ist das ein bisschen anders, denn ich frage mich im stillem, was sie von mir halten, die ich meine Beine, so wenig anziehend sie sein mögen, zeige, die ich mein Haar nicht bedecke, ob sie mich ebenso leidenschaftslos betrachten wie ich sie. Aber das ist eigentlich nur in den ersten Sekunden so, bis ich merke, sie interessieren sich ebenso wenig für meine religiöse Uneindeutigkeit wie ich mich für ihre Präferenz. Soll bitte jede_r leben, wie es ihm und ihr gefällt, solang ich nicht von ihm oder ihr behelligt werde. Die Diskriminierung von Frauen ist so absurd wie die gegen Menschen mit anderer Hautfarbe, Menschen mit unbestimmtem Geschlecht, Menschen mit nicht normativ gesetzter (als normal geltender) sexueller Orientierung etc. oder Menschen jenseits der 70.

Aber irgendwas stimmt hier nicht, und ich möchte versuchen zu ergründen, was genau es ist. Denn die eben genannten Gruppen brauchen nichts Ausdrückliches, um am Leben teilhaben zu dürfen, außer die scheinbar unmögliche Kleinigkeit, von der „normalen“ Gesellschaft nicht als etwas Schlechteres betrachtet zu werden. Sie könnten also ein Leben führen mit allen zur Verfügung stehenden Ressourcen? Nein, gerade bei den Menschen mit uneindeutigem Geschlecht müssen noch enorme Modifikationen in den Gegebenheiten zur Verfügung gestellt werden, öffentliche Räume müssen mehr als nur zwei Typen von Toiletten, Umkleidekabinen etc. zur Verfügung stellen. Ihre Vielfältigkeit muss nicht nur wahr- sondern auch angenommen werden. Hier gleichen sie den Behinderten. Auch für diese steht zumeist nicht die Umgebung zur Verfügung, die sie brauchen.

Aber irgenwas stimmt immer noch nicht. Nehmen wir mal an, alle öffentlichen und privaten Einrichtungen, die alle Menschen besuchen möchten, wären für die Bedürfnisse der vielfältigen Gesellschaft ausgestattet, wären barrierefrei, genderfrei, ideologiefrei. Und nehmen wir weiter an, jetzt wirds natürlich extrem Science Fiction, alle Menschen würden alle so annehmen, wie sie sind, jeder People of Color würde jede Wohnung bekommen, die er möchte, jede Kopftuchträgerin würde ebenso freundlich an der Käsetheke behandelt wie die neben ihr stehende Blondine mit hautengem Kleid, jede trans-Person könnte sich in der Sauna kalt abduschen, ohne Angst vor angewiderten Blicken oder Tuscheleien hinter ihrem Rücken haben zu müssen… Wär schon mal schön, oder? Warum habe ich die Rollifahrerin nicht genannt, die im Fitnesscenter ihre Übungen macht, den Blinden, der in der Bibliothek seine Bücher sucht? Hätte ich machen können, denn auch hier sind es Gegebenheiten, die ihnen das Leben leichter machen würden.

Aber sinn-, körperlich und geistig eingeschränkte Menschen brauchen noch etwas anderes. Im Gegensatz zu den vorher Genannten sind sie auf einer grundlegenden Ebene eingeschränkt, denn erstens brauchen sie so verschiedene Umgebungen, die auch miteinander konkurrieren können. Während sich der Blinde über die taktilen Leitsysteme auf der Straße freut, sind sie für die Rollifahrerin ein weiteres Hindernis etc.

Die Gegebenheiten für Behinderte sind sehr viel mannigfaltiger und komplexer und auf der anderen Seite viel einfacher zu beheben als die Pfähle im Kopf der Menschen. Denn das Bedürfnis, einen Aufzug zu brauchen, eine ausreichende Beleuchtung oder eine akustische Ampel, kann befriedigt werden, und damit kann sich die Öffentlichkeit auf die Fahnen schreiben, sich gegen Diskriminierung zu engagieren, da sie durch das Entfernen von Barrieren Teilhabe ermöglicht.

Irgendwas stimmt schon wieder nicht. Ich persönlich freue mich, wenn ich einen Aufzug betrete, dessen Tastenfeld so riesig ist, dass ich mich nicht direkt davor aufbauen und damit allen anderen Menschen zeigen muss, dass ich es nicht gut erkennen kann. Kürzlich stand ich in einem Aufzug, mit mir zusammen eine Frau mit Kopftuch, ein männlicher People of Color, ein weißer Rollstuhlfahrer und ein weibliches Paar eng aneinandergeschmiegt. Ich genoss diese Vielfalt, denn dadurch, dass jede/r was anderes hatte, waren wir alle geschützt, unser Anderssein beschützte uns wissentlich vor Angriffen. Dann fiel mir auf, dass ich ja ganz ohne Stock unter ihnen stand, unerkannt, als potenzielle Normale, als mögliche Angreiferin aus der nicht diskriminierten Welt, und sofort fühlte ich mich unwohl. Bin nur ich es, die eine potenzielle Gefahr wittert, sobald ich meinen privaten Raum verlasse, in dem ich nichts bin als ein Mensch? Ist es die Unterscheidung in normal und nicht normal, die Diskriminierung erst real werden lässt?

Was ich eigentlich schreiben wollte, und jetzt finde ich gerade meinen roten Faden nicht mehr, ist mein völliges Unverständnis gegenüber Diskriminierung von Frauen, Menschen aller Haut-, Haarfarbe, Augenformen, Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Präferenzen und auch religiösen Glaubensvorstellungen. Denn sie haben doch nix, was soll denn das? Sie können ebenso gute Mieter, Ärztinnen, Anwälte (mit Sicherheit sogar bessere!), Pfarrerinnen, Handwerker oder was auch immer sein.

Behinderte hingegen haben wirklich was. Sie werden nicht nur eingeschränkt durch die nicht an sie angepasste Umgebung, nein, sie sind auch dann noch eingeschränkt. Dass man sie deswegen nicht diskriminieren darf, ist natürlich selbstverständlich und muss hier nicht betont werden. Aber ich verstehe die Unsicherheiten gegenüber Behinderten besser als gegenüber den anderen Gruppen, die ausgegrenzt werden. Denn sie haben ja wirklich etwas, das sie beim Zusammetreffen unkalkulierbar macht, ihnen Schranken auferlegt, sich frei und selbstbestimmt zu bewegen, zu kommunizieren oder die Angebote der Umgebung wahrzunehmen. Während Antidiskriminierung der erstgenannten Gruppen also eine vorerst kognitive Ebene betrifft, die Schranken im Kopf von Menschen, liegt Diskriminierung von Behinderten meiner Ansicht nach eine tiefgreifendere Unsicherheit zu Grunde. Natürlich weiß der nicht-behinderte Mensch auch nicht, inwiefern sich eine Persönlichkeit bildet, wenn sie stets Anfeindungen ausgeliefert ist, die aus Motiven von Rassismus, Sexismus oder anderen Zuschreibungen resultiert. Was macht es mit der eigenen Identität und Körperwahrnehmung, wenn ständig eine Grenze gezogen wird zwischen „den anderen“ und sich selbst? Das ist glücklicherweise heute schon viel besprochen und von wissenschaftlichem Interesse. Auf einer ganz perfiden Ebene mag es sein, dass sich hier Allianzen zwischen People of Color, sexuell nicht normativ gesetzten Menschen, sichtbaren Religonszugehörigen und Behinderten bilden. Auch weisen die Bestrebungen von Diskriminierung Betroffener, dys Quäntchen besser zu sein als der normativ gesetzte Mensch, eine Ähnlichkeit auf. Aber seien wir doch bitte bitte einmal ganz ehrlich: ein homosexueller Mann, eine dunkelhäutige Frau, für beide gibt es keinen Grund, eine ebenso gute Ärztin zu sein wie jeder andere Mensch. Aber der Behinderte kann dies eben nicht, weil er nicht nur Pfähle im Kopf beseitigen muss, die jeglicher logischer Grundlage entbehren. Dass eine Gesellschaft überhaupt auf die Idee kommt, dass Menschen aufgrund irgendeiner scheinbaren Andersheit nicht befähigt sein sollen, genauso Teil dieser Gesellschaft zu sein, das ist im höchsten Maße beschämend für diese Gesellschaft.

Wie ist es aber nun gerade mit dem sinn-eingeschränkten Menschen? Kann ein Tauber Anwalt sein? Eine Blinde Fahrlehrerin? Nein, hier werden nun ganz praktische Hindernisse offenkundig, die sich die Gesellschaft zu überwinden zur Aufgabe gemacht hat. Ein technisches Hilfsmittel nach dem anderen wird erfunden, um auch unseren behinderten Menschen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben so vielfältig wie möglich zu gestalten. Aber irgendwas stimmt hier schon wieder nicht.

Vor ein paar Tagen hatte ich eine Diskussion mit einem Arbeitskollegen über meinen Arbeitsassistenten. Dieser bedient für mich Datenbanken, die zu komplex sind, als dass ich sie am Bildschirm überblicken kann, er scannt und sucht Literatur, begleitet mich zu Veranstaltungen, deren Räumlichkeiten ich nicht finde etc. Er ist eben ein Assistent für meine Arbeit. Mein Kollege meinte aber, dass er, ich zitiere, „nicht nur Deine Betreuung ist sondern einen Mehrwert für die Uni darstellt“. Aha, ich mache hochbezahlte Arbeit und brauche eine Betreuung wie eine Dreijährige? Das ist es, was das Behindertsein anders macht als andere Formen des Daseins derer, die von Diskriminierung betroffen sind. Mir wird abgesprochen, dass ich selbständig bin, dass ich ein Wesen bin, dem alles zuzutrauen ist. Und das stimmt ja auch in gewisser Weise, erkenne ich ja nicht mal den Kollegen, den ich seit 15 Jahren kenne, auf der Straße. Diese Unfähigkeit ist es, die zu Aussagen führt, ich bräuchte eine Betreuung. Hier wurde schon so oft darüber geschrieben, wie diese Verbesonderung sich auf mein Lebensgefühl auswirkt, wie wirkt sich die Konfrontation mit mir aber auf meine Mitmenschen aus? Ich dachte stets, dass sie es irgendwann vergessen, dass ich nicht ganz so bin wie sie, aber an Aussagen wie der Notwendigkeit einer Betreuung spüre ich, die Barriere ist vorhanden und kann nicht überwunden werden.

Ist es jenseits jeder Möglichkeit, es in Worte zu kleiden, was Menschen denken oder fühlen, wenn sie mich sehen, ich sie aber nicht? Was denkt Ihr dabei, oder denkt Ihr gar nicht sondern fühlt nur? Fühlt Ihr die Barriere zwischen Euch und mir, dass Ihr etwas könnt, das ich nicht kann, dass ich ein armer Tropf bin, dass es bewundernswert ist, wie ich durch die Welt stolpere… Ich hab keine Ahnung. Klar ist immerhin, dass sich zumindest Sinn-Behinderte in dieser Hinsicht von allen anderen diskriminierten Gruppen unterscheiden, denn etwas a priori gesetztes wie die Sinne, etwas, das wir alle als selbstverständliich zu nutzen im Laufe des Lebens gelernt haben, ist einfach gestört und wirkt sich (wie?) auf die Persönlichkeit aus.

Deshalb tue ich mich schwer,. Diskriminierung von Behinderten auf einer bestimmten Ebene mit anderen Diskriminierungen gleichzusetzen. Diese anderen sind gänzlich indiskutabel und auch im Höchtsmaß Ausdruck von Dummheit. Aber diese eine ist zwar nicht verständlich, gerade für kognitiv aktive Menschen, aber sie hat einen Ursprung. Ach, wenn man doch aus dieser Verbesonderung etwas anderes machen könnte!

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