Ich habe ein paar wenige sehr gute Freunde, und manchmal frage ich mich, was sie alle gemein haben. Es sind allesamt Menschen mit sehr unterschiedlichen Prioritäten. Manchen ist der Tierschutz wichtiger als das zwischenmenschliche Miteinander, manche merken nicht, wie sehr sie mit ihrer Exzentrik, ihrem Egoismus oder ihrem Pflichtbewusstsein gegenüber der Arbeit andere Menschen bisweilen einschränken, wieder andere pflegen hohe Ideale von Ästhetik und sind sich ihrer Normativität nicht bewusst… Klingt, als würde ich nur schlecht über sie reden und denken, aber das Gegenteil ist der Fall. Denn sie alle haben etwas, woran sie glauben, das sie hegen und womit sie sich identifizieren. Immer wenn etwas priorisiert wird, wird ein anderer Umstand vernachlässigt, wo gehobelt wird, fallen Späne. Faszinierend ist für mich, wie sehr wir alle den einen Teil unseres Lebens akribisch der Selbstreflexion unterziehen, bei einem anderen wiederum keinerlei Bewusstsein dafür entwickelt haben.

Und ich, frage ich mich dann? Welche Prioritäten setze ich selbst? Welchenen Ideals bin ich Sklavin? Lachhaft und unreflektiert zu antworten, ich lasse mich nicht unterwerfen, denn vielleicht bin ich die Meistersklavin meiner Ideale. Und was sind es denn nur für Ideale, da scheint sich ja schon etwas zusammenzubrauen. Ich glaube, Ideale kann frau sich nicht wählen, sie erringt sie mittels Anlagen oder dem Wunsch nach Kontrasten zu diesen Anlagen in frühster Kindheit. Eines meiner Ideale lautet: ich will nicht stören. Das ist eine meiner Anlagen, war ich doch stets ein störendes Kind. Nun habe ich oberflächlich den Weg des Kontrastes gewählt, die Komfortzonen der Umgebung zu stören, nicht dem Mainstream zu entsprechen (das geht bis in die Tiefen der Weigerung eines störarmen Erscheinungsbildes) und einige störungsvolle Techniken der Lebensführung zu wählen. Oberflächlich betrachtet habe ich mich also von der Anlage des Störens emanzipiert.

Und unter dieser Oberfläche? Da ist mein Streben und Sinnen von früh bis spät, meine Mitmenschen nur ja nicht zu stören. Das beginnt mit der Entfernung eigener Gegenstände aus geteilten Wirkungsbereichen anderer Menschen, setzt sich fort in Form der Sorge, im Bus im Weg zu stehen, jemand anderes Weg zu kreuzen, so dass diese Person ausweichen muss oder ein Fahrzeug zu behindern, weil ich einen Zebrastreifen überqueren möchte, und es endet am Abend mit dem Entfernen von Zahnpastaresten im Waschbecken oder im mehrmaligen Schrubben von zuvor verschmutzen Flächen oder Vertiefungen. Der Stachel der Sorge bleibt dennoch in meinem Fleisch stecken wie Arsen: war ich jetzt im Weg und hat sich jemand mir Teures über mich geärgert? Habe ich das Bad sauber hinterlassen? Tja, was Du halt so sauber nennst, sagt das fiese kleine Stimmchen in meinem Kopf. Du siehst doch nicht mal ein Haar auf der weißen Kachel, wie bildest Du Dir ein, den Grad selbst verursachter Verschmutzung beurteilen zu können?

Das Ideal der Störarmut also. Und was hat die Dunkelheit damit zu tun? Nun, sie beschützt mich oder würde mich beschützen, wenn sich meine Umgebung auf sie einließe. Denn in der Dunkelheit muss ich nicht so tun, als interessiere ich mich für die Ansicht meines Gegenübers, in der Dunkelheit brauche ich mir nicht ins Gedächtnis zu rufen, dass andere durchaus sehen, wie ich mir in der Nase bohre, an den Füßen kratze oder die Finger zu Hilfe nehme um zu wissen, wie voll die Tasse noch ist. Ich muss mir keine Gedanken machen, wie viel der Herr Nachbar sieht, wenn er in mein Fenster späht, ob da etwas auf dem Tisch liegt oder die Pfeffernühle einen Schatten wirft. Eine Unterhaltung völlig im Dunklen, ein Traum für mich, für die Sehenden ein Albtraum. In der Dunkelheit sind wir Stimmen, sind wir alle gleich, haben wir nur dieses eine Ausdrucksmittel und können uns darauf konzentrieren, wie würde ich es mir oft wünschen.

Selten sind die Momente, wo dieser Wunsch von mir einmal erfüllt wurde. Es eignet sich meist nur das Bett, denn in ihm fühlt sich auch der Sehende sicher genug, um auf den wichtigsten Sinn zu verzichten. Das wiederum reduziert leider den Personenkreis potentieller GesprächspartnerInnen gehörig, obwohl ich mir oft nur das etwas andere Bettgeflüster wünschen würde.

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